Nähe und Glaubwürdigkeit helfen gegen Reizüberflutung


Ansprache zum Nationalfeiertag in Röschenz am 31. Juli 2025

Liebe Röschenzerinnen und Röschenzer, liebe Gäste

Die Welt dreht sich

Wussten Sie eigentlich, dass sich die Welt immer langsamer dreht und die Tage deshalb immer länger werden? Es ist wahr! Das liegt an der so genannten Gezeitenreibung, welche durch die Drehung der Erde relativ zur Sonne entsteht.

Aber das entspricht ja nicht wirklich unserer Wahrnehmung. Vielmehr meinen wir, alles werde immer schneller und kurzlebiger. Was heute noch wahr ist, ist morgen überholt. Was heute die Schlagzeilen prägt, ist morgen vergessen. Das war schon vor den letzten Präsidentschaftswahlen in den USA so, hat sich seither aber sicher noch beschleunigt.

Viele überfordert das. Und auch ich als veritabler «News-Junkie» muss mich manchmal fast dazu zwingen, mich zu informieren und dabei eine Reizüberflutung zu riskieren. Wie die NZZ Ende letzten Jahres berichtete, verzichten in der Schweiz mittlerweile fast die Hälfte der Leute auf Nachrichten – fast die Hälfte! Im entsprechenden Artikel wird eine Frau zitiert, die an dem Tag, an dem der Drahtzieher des Attentats im Gazastreifen getötet wurde, sagt: «Das ist sicher kein Thema, wenn ich mich am Abend in einer Runde mit Freunden treffe. Wir wollen eine gute Zeit haben und reden über Persönliches, Tiefgründiges.» Für sie war also diese Nachricht weder persönlich noch tiefgründig.

Und wissen Sie was? Ich nehme ihr das nicht einmal übel!

Nähe und Glaubwürdigkeit

Aber was hat das alles mit der Schweiz, die wir heute feiern, und mit Ihnen, liebe Jungbürgerinnen und Jungbürger zu tun? Viel, meine ich, denn Sie haben das Gegenmittel gegen diese Reizüberflutung in der Hand. Und das Gegenmittel heisst Nähe und Glaubwürdigkeit.

Schon damals, als Direktor eines Wirtschaftsverbandes, habe ich mir die Frage gestellt: wie erreichen wir die Menschen mit unseren Botschaften, wenn doch niemand an noch mehr Nachrichten interessiert ist, wenn alle doch schon über alle Kanäle überflutet werden? Seit über zehn Jahren sitze ich zudem im Stiftungsrat eines regionalen Fernsehsenders. Und auch hier ist die Herausforderung riesig, im Rauschen von Social Media, Dutzenden, auf Sensationen ausgerichteten Fernsehsendern, und nach jedem Strohhalm greifenden Printmedien die Aufmerksamkeit auf sich zu lenken.

Und meine Antwort? Eben: Nähe und Glaubwürdigkeit!

Ich wollte immer, dass meine Kolleginnen und Kollegen bei den Menschen sind und offen und ehrlich mit ihnen kommunizieren. Das schafft Nähe und Glaubwürdigkeit. Und das nächste Mal, wenn der Wirtschaftsverband ein politisches Geschäft einordnet, oder wenn der Lokalfernsehsender einen Hintergrundbericht bringt, heisst es hoffentlich: die kenne ich, mit dem habe ich schon ein Bier getrunken, das sind coole Typen, die lügen mich nicht an, denen vertraue ich, denen glaube ich.

Das war meine Vision und ist sie immer noch: durch Nähe und Glaubwürdigkeit zum bevorzugten, vertrauten Informationskanal zu werden. Das schafft niemand, kann niemand schaffen, der nicht lokal verankert ist.

Aber diese Rolle sollten wir keinesfalls Organisationen wie Verbänden oder Medien überlassen. Jede und jeder von uns sollte an seiner Nähe und Glaubwürdigkeit arbeiten. Denn die wichtigsten Personen sind nicht diejenigen, die Sie am Abend in der Tagesschau oder in einem Influencer-Real auf Tiktok sehen, sondern der Mensch, der jetzt gerade neben Ihnen oder gegenübersitzt. Ja, schauen Sie sich Ihren potenziell wichtigsten Informationskanal einmal in Ruhe an!

Und damit sind wir definitiv bei Ihnen angelangt, liebe Jungbürgerinnen und Jungbürger – und auch bei der Schweiz. Unsere Schweiz bietet Ihnen wie kaum ein anderes Land den idealen Nährboden, um an Nähe und Glaubwürdigkeit zu arbeiten. Wir sind kleinräumig, offen, vernetzt und auch unser Wohlstand und unsere direkte Demokratie in Gemeinden, im Kanton und auf Bundesebene bietet einmalige Chancen, um diese Nähe zu pflegen.

Aber das bedeutet Arbeit. Sicher ist es gut, sich über globale und regionale Entwicklungen zu informieren, ohne sich zu überfordern – man darf auch mal eine News-Pause einlegen – immer mit einer kritischen Distanz zu den Informanten und immer auch ausserhalb der eigenen Bubble.

So viel Verständnis ich für die im NZZ-Artikel zitierte Frau aufbringe: News-Deprivierte – so nennt man die Gruppe mit unterdurchschnittlichem Nachrichten-Konsum – koppeln sich eher vom politischen System ab und verlieren eher das Vertrauen in politische Institutionen, was einer Demokratie natürlich nicht wirklich dienlich ist.

Und dann geht es darum, so – gut informiert – die Nähe zu suchen, sich auszutauschen mit Freunden und Bekannten, Gleichdenkenden und Andersdenkenden, zu hinterfragen, nachzuhaken, zu diskutieren. Und unsere Institutionen – politische, aber auch gesellschaftliche wie Vereine – bieten, wie gesagt, eine ideale Plattform für diesen Austausch.

Es geht selbstverständlich auch viel einfacher. Warum sollte ich mich stundenlang in Kommissionssitzungen abmühen und Kompromisse mit Andersdenkenden schmieden, wenn ich mich doch einfach auf die Strasse kleben und meine Wünsche so durchsetzen kann? Wieso sollten Sie sich in einem Sportverein engagieren und J+S-Kurse absolvieren, damit Sie die Jugendmannschaft trainieren dürfen? Sie können doch einfach für mehr staatliche Unterstützung demonstrieren.

Sie merken, ich kann nicht viel mit Bewegungen wie «Fridays for Future» anfangen. Volles Verständnis habe ich für die Ängste und die Ungeduld dieser Menschen. Aber Veränderungen herbeizuführen, heisst eben, sich mit den Institutionen und auch mit Andersdenkenden auseinandersetzen und nicht einfach Forderungen zu stellen. Ja, gute Kompromisse setzen klare Positionen voraus – aber eben, am Ende geht es immer um einen Kompromiss.

Und glauben Sie mir: Sie gewinnen mehr an Nähe und Glaubwürdigkeit – und damit an Überzeugungskraft – auf dem mühsameren Weg durch Diskussionen und Institutionen als auf dem lauten Weg von Empörung und Effekthascherei – vor allem, wenn Sie sich als Klima-Kleber nachher ins Flugzeug nach Bali setzen.

Dranbleiben

Es braucht heute, in dieser schnelllebigen, unsicheren Zeit, davon bin ich überzeugt, mehr Nähe und Glaubwürdigkeit. Mehr Auseinandersetzung, mehr aufeinander zugehen, mehr Reden, mehr Zuhören. Sonst laufen wir als Gesellschaft Gefahr, aus mehrheitlich abgeschotteten Individuen zu bestehen, die es einigen wenigen überlässt, über unsere Zukunft zu bestimmen. Und über diese Zukunft möchte ich schon gar nicht erst nachdenken!

Nicht alle werden diesem Aufruf folgen und aktiv ihr Umfeld pflegen. Viele werden deprimiert aufgeben oder haben schon aufgegeben. Ich bin sicher, auch Sie haben in den letzten Jahren schon Diskussionen mit Nahestehenden über Virenerkrankungen, Kriegsverursacher oder Geschichtsverdreher gehabt, Diskussionen, die Sie resigniert den Kopf schütteln liessen und die nirgends hinführten.

Aber es ist wichtig, dass wir dranbleiben. Es braucht glaubwürdige Anker, an denen sich Unsichere ausrichten können. Seien Sie – vor allem Sie, liebe Jungbürgerinnen und Jungbürger – ein solcher Anker. Halten Sie sich informiert, pflegen Sie die Nähe zu Menschen und gewinnen Sie ihr Vertrauen. Sie stärken damit das System Schweiz, das uns einen Wohlstand gewährt, der seinesgleichen auf der Welt sucht.

Alles im Griff?

Warten Sie nicht auf ruhigere Zeiten – auch wenn sich die Welt immer langsamer dreht, die Hektik wird nicht abnehmen. Deshalb ist es wichtig, Verantwortung zu übernehmen, sich lokal zu engagieren, Nähe zu den Mitmenschen zu suchen und an der eigenen Glaubwürdigkeit zu arbeiten.

Nur so können wir diese verrückte Welt, wie wir sie heute erleben, in den Griff bekommen und unsere Freiheit und unseren Wohlstand erhalten.

Apropos im Griff haben: Liebe Jungbürgerinnen und Jungbürger, denkt trotz diesen mahnenden Worten immer auch an den Spruch, «wer alles im Griff hat, hat keine Hand frei für Neues». Lasst auch einmal los, lasst auch einmal die Sau raus, lasst auch einmal eine Fünf gerade sein. Das Leben gibt euch genügend Grenzen vor, so dass man die eigenen auch einmal überschreiten darf – natürlich immer nur, wenn es nicht zu Lasten anderer geht.

Ich wünsche Ihnen, liebe Festbesucherinnen und -besucher, einen wunderbaren, fröhlichen Nationalfeiertag. Auf dass wir alle in Zukunft noch viele so friedliche Geburtstage von unserer schönen Schweiz feiern können.

Vielen Dank!