Reimagining Capitalism – und warum Rückschritte heute besonders gefährlich sind


Eine Rezension von Rebecca Hendersons Buch “Reimagining Capitalism in a World on Fire”, verbunden mit einem aktuellen Blick auf die Rolle von Unternehmen in der Nachhaltigkeitspolitik

Vor wenigen Jahren noch gaben viele Unternehmen das Versprechen ab, sich über den reinen Profit hinaus für ökologische und soziale Ziele einzusetzen. Nachhaltigkeit war nicht bloss ein «nice to have», sondern wurde als notwendige Bedingung für langfristigen wirtschaftlichen Erfolg betont. CEOs sprachen von Purpose, ESG-Ratings beeinflussten Investitionsentscheide, und Nachhaltigkeitsstrategien fanden ihren Weg in Geschäftsberichte und auf Webseiten.

Doch heute, im Jahr 2025, beobachten wir eine gegenläufige Bewegung: Unternehmen senken – zum Teil offen, zum Teil schleichend – ihre Nachhaltigkeitsziele. Sie berufen sich dabei auf regulatorische Unsicherheit, geopolitische Spannungen oder wirtschaftliche Unsicherheit. Vielerorts wird der Eindruck vermittelt, als sei Nachhaltigkeit ein Luxus, den man sich nur in ruhigen Zeiten leisten kann.

Genau in diesem Spannungsfeld erhält Rebecca Hendersons Buch Reimagining Capitalism in a World on Fire eine neue Aktualität. Henderson, Professorin an der Harvard Business School, fordert darin nicht weniger als ein grundlegendes Umdenken in der Rolle von Unternehmen in der Gesellschaft. Ihr zentrales Argument: Wirtschaftlicher Erfolg und gesellschaftliches Wohlergehen lassen sich nicht voneinander trennen – schon gar nicht in einer Welt im Umbruch.

Der vielleicht wichtigste Satz aus ihrem Buch bringt das auf den Punkt:

„Business must become an active partner in shoring up the inclusive institutions that we have and in building the new ones that we need. […] This is about supporting the foundations of our society. Business has to learn to think systematically. The question should not be ‘Would this particular policy benefit me,’ but ‘How do we protect the institutions that have made us rich and free?’”

Es geht also nicht darum, ob eine einzelne Massnahme einem Unternehmen kurzfristig schadet oder nützt. Die eigentliche Frage ist: Wie können Unternehmen zum Erhalt der Institutionen beitragen, von denen sie selbst profitieren – stabile politische Systeme, funktionierende Märkte, verlässliche Rechtsordnungen, intakte Umweltbedingungen?

Wenn Unternehmen heute ihre eigenen Nachhaltigkeitsambitionen zurückschrauben, schwächen sie diese Grundlagen. Sie widersprechen damit auch dem eigenen Narrativ der letzten Jahre, wonach Nachhaltigkeit nicht nur moralisch geboten, sondern auch wirtschaftlich sinnvoll sei. Gerade jetzt wäre es wichtig, Haltung zu zeigen und nicht auf das Minimum regulatorischer Anforderungen zurückzufallen.

Denn, und auch das zeigt Henderson eindrucksvoll: Der Kapitalismus kann nur dann funktionieren, wenn er das Vertrauen der Gesellschaft geniesst. Wenn Unternehmen nicht mehr als Teil der Lösung gesehen werden, sondern als Teil des Problems, droht nicht nur ein Reputationsverlust – sondern auch eine zunehmende politische und gesellschaftliche Polarisierung, die langfristig niemandem nützt.

Was also tun?

Unternehmen sollten sich daran erinnern, warum sie überhaupt Nachhaltigkeitsziele formuliert haben: Weil sie erkannt haben, dass ihr Erfolg mit der Zukunftsfähigkeit der Gesellschaft zusammenhängt. Wer diese Ziele jetzt opfert, verliert mehr als nur einen ESG-Punkt. Er riskiert Glaubwürdigkeit, Vertrauen – und letztlich den eigenen langfristigen Erfolg.

Henderson fordert einen Kapitalismus, der sich seiner Verantwortung stellt und aktiv an Lösungen mitarbeitet. Dies ist kein romantisches Ideal, sondern eine realistische Strategie in einer komplexen Welt. Unternehmen, die jetzt am Ball bleiben, die sich nicht entmutigen lassen, sondern systematisch an ihrem Beitrag arbeiten, werden am Ende nicht nur nachhaltiger, sondern auch erfolgreicher sein.

Fazit

Rebecca Henderson ruft uns in Erinnerung, dass Unternehmen mehr sind als ökonomische Maschinen. Sie sind Akteure innerhalb eines Systems, das sie mitgestalten – und für das sie Verantwortung tragen. Gerade jetzt, wo viele den Rückwärtsgang einlegen, ist es Zeit, sich daran zu erinnern.